Zum Begriff „Triage“
Im Zuge der medial allgegenwärtigen Corona-Pandemie hört man neuerdings vermehrt den Begriff der „Triage“. Unter „Triage“ ist die durch medizinisches Personal vorgenommene Festlegung einer Behandlungsreihenfolge bei überhöhten Patientenaufkommen zu verstehen. So kursieren derzeit immer wieder Nachrichten über Auswahlkriterien für die intensivpflegerische Versorgung, konkret die Beatmung, von Covid-19-Patienten.
Dies betrifft in Europa derzeit vor allem Italien, Frankreich und Spanien, ggf. bald das Vereinigte Königreich. Dort wo das lokale Gesundheitssystem über seinen Belastungsgrenzen arbeitet, die Kapazität an freien Beatmungsplätzen also nicht für den Andrang ausreicht, werden ältere Menschen häufig nur noch palliativ versorgt. In den italienischen, französischen und spanischen Hotspots zeichnet sich ein solches Bild deutlich ab.
In Deutschland sind uns derartige Nachrichten bisher noch erspart geblieben. Schon jetzt stellt man sich aber hierzulande juristisch, medizinisch und ethisch auf die Frage ein, nach welchen Kriterien Beatmungsplätze zu vergeben sind, wenn die Belastungsgrenze überschritten ist.
Juristischer Hintergrund
Im Medizin- und Pflegestrafrecht ist die beschriebene Situation vor allem Gegenstand theoretischer Diskussionen. Klar ist: Sowohl Ärzte als auch das Pflegepersonal sind schon aufgrund des Behandlungsverhältnisses faktisch zu Rettungsmaßnahmen verpflichtet. Sie sind gegenüber ihren Patienten sogenannte Garanten. Im Raum steht potentiell die Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts. In der Triage-Situation sieht der Lehrbuchfall meist wie folgt aus: Eine Ärztin oder ein Pfleger ist damit konfrontiert, dass sie nur das Leben eines von zwei Patienten retten kann. Die Behandlung des Einen führt in diesem konstruierten Dilemma immer zum Tod des anderen Patienten. Es gibt nur ein „Entweder-Oder“.
Juristisch bezeichnet man die Situation als „rechtfertigende Pflichtenkollision“, da zwei Rettungspflichten unvereinbar aufeinanderprallen. Diese Pflichten sind gleichwertig. Das medizinische Personal ist für einen 85jährigen vorerkrankten Patienten rechtlich genauso verantwortlich wie für einen jungen Marathonläufer. In dieser und ausschließlich in dieser Situation reicht es zur Straffreiheit aus, lediglich eine der Pflichten zu erfüllen und nur eine Person zu retten. Denn Unmögliches darf den Verantwortlichen nicht abverlangt werden. Unzulässig wäre es nur, angesichts eines inneren Konfliktes keines der beiden Menschenleben zu retten. Generelle Zugangsbeschränkungen verbieten sich im deutschen Strafrecht indes. Es wäre also unzulässig morgens einer älteren Person ein Beatmungsgerät zu verweigern, nur weil man am Mittag noch aussichtsreichere Fälle erwartet. Die Überschreitung der Rettungskapazität zum Zeitpunkt der Entscheidung ist zwingende Voraussetzung der Pflichtenkollision.
Empfehlung der Fachgesellschaften
Diverse Fachgesellschaften für Beatmungs-, Intensiv- und Palliativmedizin haben mit Stand vom 25.03.2020 einen Leitfaden dazu entwickelt, wie man in der beschriebenen Situation handeln könnte.
Im Vorschlag wird zunächst klargestellt, dass nicht zwischen Covid-19 und den „übrigen“ Intensivpatienten unterschieden werden dürfe. Pauschale Altersgrenzen wie in anderen Ländern werden strikt abgelehnt. Auch soziale Kriterien, etwa der gesellschaftliche Status oder die „Systemrelevanz“ des Berufs dürfen keine Rolle bei Auswahl spielen. Zentrales Entscheidungskriterium sollen vielmehr die medizinischen Erfolgsaussichten sein. Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob überhaupt eine intensivmedizinische Behandlungsnotwendigkeit besteht. Dann sollen die klinischen Erfolgsaussichten der Intensivtherapie dergestalt geklärt werden, ob der Sterbeprozess überhaupt noch aufzuhalten ist. Außerdem muss der Frage nachgegangen werden, ob die intensivmedizinische Versorgung überhaupt gewünscht ist oder etwa im Rahmen einer Patientenverfügung schon abgelehnt wurde. Erst dann ist ganz konkret anhand des Grades der Covid-19-Erkrankung und etwaiger Vorerkrankungen die Behandlungsreihenfolge festzulegen, wobei eine etwaige palliative Versorgung gewährleistet werden müsse.
Fazit
Niemand möchte in der Haut jener stecken, die eine solche Auswahlentscheidung treffen müssen. Wichtig ist, dass diejenigen nicht auch noch ein Strafverfahren zu befürchten haben. Insoweit ist es zu begrüßen, dass schon frühzeitig professionelle Leitlinien entwickelt wurden. Diese sind juristisch zwar nicht verbindlich. Die Einhaltung der Empfehlung würde aber voraussichtlich die Erfolgschancen in einem Strafverfahren deutlich erhöhen. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass nach dem Vorschlag defacto ältere Menschen das Nachsehen haben werden. Ob und wie die Leitlinie in den zu erwartenden Hochphasen der Pandemie noch im Praxisalltag umsetzbar ist, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.
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